St. Gabriel, Patron der
christlichen Motivphilatelie

Sammlergilde St. Gabriel
Arge Christliche Motive im BDPh

St. Gabriel, eine starke
Sammlergemeinschaft

Leseprobe aus dem GABRIEL April 2014

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Jesus, ein Engel?

Die slowakische Post hat zu dieser Markenausgabe vom 30.6.2008 folgende Erläuterung gegeben: Die vergoldeten Kupfer-Plaketten von 13 bis 15 cm im Durchmesser vom Burgwall Valy bei Bojná (Bezirk Topoľčany, Westslowakei) zählen zu den bedeutendsten großmährischen Kunstwerken aus dem 9. Jahrhundert. Sie sind dekoriert mit figürlichen Szenen und zwei von ihnen haben deutliche Inschriften in Griechisch oder Latein. Die Briefmarke zeigt einen geflügelten Christus als "Der Engel des großen Rates", ein seltenes christliches ikonographisches Motiv. Seine älteste bekannte grafische Darstellung befindet sich in der illuminierten Handschrift über die Predigten von Gregor von Nazianz (Bibliothèque nationale de France Paris, Gr. 510), die Patriarch Photius von Konstantinopel für den byzantinischen Kaiser Basileios I. von 880 bis 886 in Auftrag gab.

Eine weitere Überraschung ist der auf der Webseite der slowakischen Post erwähnte Kleinbogen, der im MICHEL-Katalog nicht erwähnt ist und der auf das XIII. Weltbundtreffen St. Gabriel und die NITRAFILA 2008 hinweist, welche die slowakische Sammlergilde St. Gilde ausgerichtet hat. Martin Vančo bildet in “The ninth Century - Great Moravian figural Motifs of Orantes” alle aufgefundenen Plaketten ab, so dass alle Abbildungen auf dem Kleinbogen zugeordnet werden können: Die rechts und links auf dem Bogenrand abgebildeten Plaketten zeigen Engel. Das linke Zierfeld zeigt einen Seraph, einen Feuerengel. Das mittlere Zierfeld stellt einen Erzengel dar, der einen T-förmigen Stock mit einem Dreieck hält, das ein Labarum, ein Symbol für die zeitliche und göttliche Macht des Kaisers, darstellen könnte (ein ähnliches Objekt findet sich als großmährische Gürteldekoration aus dem Grab Nr. 240, entdeckt in der Wallburg Val in der Nähe von Mikulčice). Das rechte Zierfeld zeigt einen Engel mit vier Flügeln, mit seitlich erhobenen Armen wie auf der Darstellung von Christus am Kreuz von Uherské Hradiště. Die Engel der Plaketten repräsentieren verschiedene Engel-Ordnungen nach dem byzantinischen Theologen Pseudo-Dionysius Areopagita an der Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert in seinem Werk "Himmlische Hierarchie" (De Caelesti Hierarchia, Kap. 4). Der hl. Kyrill kannte dieses Werk auswendig, und da Gregor von Nazianz sein literarisches Vorbild war, folgt daraus, dass die Plaketten sich auf die theologische Kultur des byzantinischen Kaiserhofs beziehen. Die Plaketten mit der Ikonographie der Engel gehörten wahrscheinlich zu einem Reliquienschrein in Byzanz, der mit Engeln verziert war, wie z. B. die Staurothek von Limburg, einem Reliquiar vom Heiligen Kreuz aus dem 10. Jahrhundert, gestiftet von den Kaisern Konstantin VII. Porphyrogennetos und Romanos II.

Für den FDC wurde die Rückseite eines byzantinischen Solidus verwendet mit dem Porträt des Kaisers Michael III., der ein Labarum hält. Die Münze fand man im Grab Nr. 480 in Valy bei Mikulčice. Für den FDC-Stempel wurde wahrscheinlich die Vorderseite der Münze mit einem Christusportrait mit Kreuz verwendet, für einen weiteren Stempel für das Gedenkblatt wurde das Motiv des linken Zierfeldes, der Seraph, verwendet. Der Sonderstempel zur NITRAFILA 2008 zeigt die auf der Marke abgebildete Plakette, der zum XIII. Weltkongress das Logo der Sammlergilde St. Gabriel trägt. Bleibt noch die Frage, was es mit dem "Engel des großen Rates" auf sich hat. Eine erste Spur führt zu den Kirchenvätern: Der Kirchenlehrer Johannes von Damaskus (+ 750 n. Chr.) bezeichnet in seiner Schrift "Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens" (4. Buch, Kap. XVIII) Jesus Christus gemäß Jesaja 9,5 als "Engel des guten (? oder großen) Rates". Auch Augustinus (354 – 430 n. Chr.) verweist darauf, dass mit der Bezeichnung "Engel des großen Rates" (Jes. 9,5) Jesus Christus gemeint ist (in Fünfzehn Bücher über die Dreieinigkeit, 2. Buch, Kap. 13). Epiphanius von Salamis (+ 403 n. Chr.) schreibt im Brief "Der Festgeankerte" (Ancoratus), dass Christus der "Engel des großen Rates" sei, der die Ratschlüsse seines himmlischen Vaters verkündet.

Wer allerdings in seiner Bibel die Stelle Jesaja 9,5 nachschlägt, wird feststellen, dass der Ausdruck "Engel des großen Rates" dort gar nicht vorkommt. Das von Gott geschenkte Kind wird dort "Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens" in der Einheitsübersetzung genannt. Auch im Originaltext der Hebräischen Bibel, unserem Alten Testament, findet sich an dieser Stelle kein Hinweis auf einen "Engel des großen Rates". Dort steht eindeutig פֶּ֠לֶא יֹועֵץ֙ (Wunderbarer Ratgeber). Die Lösung dafür, dass Christus abweichend vom ursprünglichen Wortlaut als "Engels des großen Rates" (μεγάλης βουλῆς ἄγγελος) bezeichnet wird, findet sich in der sog. "Septuaginta". Das ist die Übertragung der Hebräischen Bibel ins Griechische. Sie war für griechisch sprechende Juden bestimmt, die außerhalb des Landes Israel lebten und zum großen Teil des Hebräischen nicht mehr mächtig waren. Außerdem waren diese Juden schon weitgehend von der hellenistischen Kultur geprägt. Das hatte auch Auswirkungen auf die Übertragung der Hebräischen Bibel ins Griechische. So weicht die Septuaginta an manchen Stellen erheblich vom hebräischen Originaltext ab. Dennoch wurde diese Übertragung des Alten Testamentes – wahrscheinlich mangels Sprachkenntnis – von vielen griechischen und lateinischen Kirchenvätern benutzt. In der Biblia Sacra Vulgata, die von Hieronymus begonnene Übersetzung der Bibel ins Lateinische, steht wieder richtig Admirabilis consiliarius (Wunderbarer Ratgeber).

Eine Bibelstelle, mit der man die Darstellung Jesu Christi als Engel besser begründen kann als mit Jesaja 9,5, haben wir in Maleachi 3,1. Hier ist im Originaltext der Hebräischen Bibel vom וּמַלְאַ֨ךְ הַבְּרִ֜ית (Boten des Bundes) die Rede, der mit ἄγγελος τῆς διαθήκης (Engel, Botschafter oder Überbringer des Bundes) oder angelus testamenti (Engel oder Bote des Testamentes) übersetzt wurde. Damit ist der kommende Messias gemeint; und der ist kein anderer als Jesus Christus.

Diese Marke mit dem seltenen ikonographischen Motiv erinnert uns, wie wichtig es bei Bibelübersetzungen ist, sehr textkritisch vorzugehen. Hinzu kommt, dass die alte hebräische Bibel ohne Vokale niedergeschrieben wurde und die semitischen Sprachen blumige Redewendungen verwenden, also viele Möglichkeiten bestehen, sie falsch auszulegen oder falsch zu übersetzen. In der bei uns gebräuchlichen Einheitsübersetzung lautet Jesaja 9,5: "Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens." Maleachi 3,1 lautet: "Seht, ich sende meinen Boten; er soll den Weg für mich bahnen. Dann kommt plötzlich zu seinem Tempel der Herr, den ihr sucht, und der Bote des Bundes, den ihr herbeiwünscht. Seht, er kommt!, spricht der Herr der Heere." Diese Übersetzungen hätten unseren Kirchenvätern viel Kopfzerbrechen erspart.

Samuel Fleischhacker, Pfr. Helmut Koopsingraven


Quellen: www.pofis.sk, Martin Vančo, The ninth Century - Great Moravian figural Motifs of Orantes, www.unifr.ch/bkv, www.biblegateway.com, www.septuagint.org, www.biblehub.com, Einheitsübersetzung der Bibel

Stand: 01.04.2014       © by Sammlergilde St. Gabriel