St. Gabriel,
Patron der
christlichen
Motivphilatelie

Sammlergilde St. Gabriel e. V.
Arbeitsgemeinschaft "Christliche Motive" im BDPh. e. V.

St. Gabriel, eine starke
Sammlergemeinschaft

Leseprobe aus dem April-GABRIEL 2012


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Simone Weil, eine ungewöhnliche Frau

Die französische Marke mit dem Bildnis einer jungen Frau und einer Inschrift fiel mir auf: "L'attention est la seule faculté de l'âme qui donne accès à dieu." (Aufmerksamkeit ist die einzige Fähigkeit der Seele zur Begegnung mit Gott).

Die französische Post hat mit ihrer Ausgabe vom 10. November 1979 Simone Weil anlässlich ihres 70. Geburtstages mit einer Zuschlag-Marke 1.30 + 0.30 Fr. (Mi 2177) geehrt. Sie verstarb aber schon mit 34 Jahren am 24. August 1943 im Exil in Ashford in England.

Sie war am 3. Februar 1909 in Paris als Tochter eines jüdischen Arztes, eines Agnostikers ohne traditionelle Bindung an das Judentum, geboren worden. Mit vier Jahren konnte sie lesen, bald lange Gedichte zitieren. Sie war sehr empfindlich und häufig krank Sie beschäftigte sich auf dem Lyzeum mit alter und neuer Philosophie. Beim Studienabschluss 1927 bestand sie als Beste in Philosophiegeschichte. 1931 wurde sie Philosophie-Lehrerin am Mädchengymnasium in Le Puy. Ihr soziales Denken und Handeln, ihre spartanische Lebensweise wurde bewundert. Gesellschaftliches Unrecht ließ sie zu  einem radikal denkenden Menschen werden. Die Hälfte ihres Gehalts als Lehrerin in Le Puy teilte sie mit Arbeitslosen und nahm an Demonstrationen teil. Sie wurde von der Polizei öfter verhört, bekam Drohbriefe und wurde mehrfach versetzt. Sie arbeitete 1934 als ungelernte Fabrikarbeiterin, um die Lebensbedingungen der Arbeiter kennen zu lernen. Die Akkordarbeit strengte sie sehr an. Den ohrenbetäubenden Lärm konnte sie kaum ertragen. Nach einer Verletzung 1935 wurde sie arbeitslos. Mit ihren Eltern reiste sie nach Spanien und Portugal. Sie war beeindruckt von der Religiosität der portugiesischen Bevölkerung. Sie kämpfte dann im spanischen Bürgerkrieg an der Seite der Francogegner mit. Verletzt und entsetzt über die Grausamkeiten des Bürgerkrieges kehrte sie 1936 nach Frankreich zurück.

1937 reiste sie zum ersten Mal nach Italien, besuchte eine Messe im Petersdom, war begeistert über die Landschaft, die Kunst, die Religiosität in Italien. Während eines Gottesdienstes in der Benediktinerabtei in St. Pierre de Solesmes südlich von Valenciennes hatte sie 1938 ihre erste mystische Erfahrung.

Das Empfinden, dass Christus in der Messe gegenwärtig sei, beschrieb sie nicht als eine Erscheinung, sondern als gewissere Gegenwart als die eines persönlichen Menschen, "als die Gegenwart einer Liebe, wie in dem Lächeln eines geliebten Antlitzes".

Intensiver Briefwechsel mit dem Dominikanerpater J. M. Perrin brachte sie nicht dazu, in die katholische Kirche einzutreten. Sie hielt daran fest, die Liebe Christi könnte in uns sein ohne Zugehörigkeit zur Kirche, die sie wegen ihrer Vergangenheit besonders im Mittelalter und wegen mangelnder Bereitschaft zu gegenwärtig fälligen Reformen ablehnte.

Wegen der deutschen Besatzung floh sie erst nach Marseille, gelangte dann über die USA nach England. Sie nahm Kontakt auf mit dem Befreiungskomitee Charles de Gaulles, der sie wegen ihres jüdischen Aussehens nicht für die Résistance in Frankreich geeignet hielt. Nur brieflichen Kontakt sollte sie halten und sich Gedanken machen über die künftige französische Verfassung. De Gaulle forderte für sich das alleinige Vertretungsrecht Frankreichs, woraufhin Simone Weil das Abgleiten in nationalen Faschismus befürchtete und die Zusammenarbeit aufgab. Sie lebte weiter krank und ohne Gehalt, bis sie an Herzversagen infolge von Tuberkulose und Hunger am 24. August 1943 starb. Es ist nicht eindeutig belegt, dass sie sich vor dem Tode noch taufen ließ. Sie wurde unter nur sehr geringer Beteiligung am 30. August 1943 auf dem Friedhof von Ashford beigesetzt. Auf der Gedenktafel vor ihrem Grab steht: "Ihre Schriften etablierten sie als eine der bedeutendsten modernen Philosophen".

Die meisten der bedeutenden Veröffentlichungen, Tagebuchnotizen, Essays, Gedichte, politische und philosophische, später auch theologisch-mystische Schriften, wurden erst posthum herausgegeben. Heinrich Böll: "Die Autorin liegt mir auf der Seele wie eine Prophetin .... es ist der Literat in mir, der Scheu vor ihr hat; der potentielle Christ in mir bewundert sie; der in mir verborgene Sozialist, der in ihr eine zweite Rosa Luxemburg ahnt; ... ich bin ihr nicht gewachsen, intellektuell, moralisch, religiös nicht. Was sie geschrieben hat, ist weit mehr als "Literatur", was sie gelebt hat, weit mehr als "Existenz". Ich habe Angst vor ihrer Strenge, ihrer sphärischen Intelligenz und Sensibilität, vor den Konsequenzen ...".

Simone Weil sieht den Zweck jeder Gemeinschaft und  des Staats darin, Krieg und Unterdrückung des einzelnen Menschen zu verhindern. Fabrikarbeit ist Sklavenarbeit. Die Arbeiterschaft ist entwurzelt. Teilhabe an der Gesellschaft und Tradition, Einsicht in den Zusammenhang ohne Zeit- und Existenzdruck lässt den Menschen seine Stellung und Aufgaben bejahen, die Technik habe sich dem Menschen anzupassen.

Die wahre Wirklichkeit kann nur erkannt werden, wenn sich der Mensch frei macht von der öffentlichen Meinung, seiner Begierde und den Illusionen. Das führt zur Haltung der "Aufmerksamkeit" (attente), des geduldigen hoffenden Erwartens und zur "Schwerkraft der Gnade" (Titel!) und Barmherzigkeit gegen die Schwerkraft der Selbstbehauptung, des Machtstrebens, der Rache und Vergeltung, des Materiellen. "Nicht weil Gott uns liebt, sollen wir ihn lieben, sondern weil Gott uns liebt, sollen wir uns lieben".

Robert Koll          

Stand: 01.04.2012       © by Sammlergilde St. Gabriel e. V.