Autun und seine Kathedrale St. Lazare
Die am 16. Mai 2011 von
der französischen Post ausgegebene
Briefmarke für die Stadt Autun in Burgund
zeigt eine Stadtansicht mit der Kathedrale
St. Lazare, rechts Mauerreste aus der
Römerzeit und zwei Statuen aus dem Museum.
Zu Beginn unserer
Zeitrechnung wurde Autun die „Schwester
und das Abbild Roms“ genannt, zumal sie
ihren Namen „Augustodunum“ dem Kaiser
Augustus verdankt, der mit ihrer Gründung
den gallischen Stamm der Aeduer ehren und
an Rom binden wollte. So waren die Aeduer
auch die ersten Gallier, die in den
römischen Senat aufgenommen wurden.
Im Mittelalter erlebte die Stadt einen
neuen Aufschwung, insbesondere durch die
Rolle, die der burgundische Kanzler
Nicolas Rolin spielte, der Gründer des
berühmten Hospizes in Beaune, der 1376
hier geboren wurde. Auch auf dem Gipfel
seiner Macht vergaß er nicht seine
Geburtsstadt; sein Sohn, Kardinal Rolin,
war hier Bischof und machte die Stadt zu
einem religiösen Zentrum.
Zu Beginn des 12. Jh. beschlossen die
Bischöfe von Autun, die bereits über eine
Kathedrale verfügten, den Bau eines neuen
Gebäudes, das die Reliquien des hl.
Lazarus aufnehmen sollte, die Gérard de
Roussillon 930 aus Marseille mitgebracht
hatte. Es sollte so ein Wallfahrtszentrum
entstehen, das mit der Magdalenenbasilika
in Vézelay rivalisieren konnte. Die neue
Kathedrale wurde zwischen 1120 und 1146
erbaut und schon 1130 vor ihrer
Fertigstellung von Papst Innozenz II.
geweiht.
Das Äußere der Kirche hat
sein romanisches Aussehen verloren: der
1469 durch Brand zerstörte Turm wurde im
15. Jh. gotisch wiedererbaut. Aus der
gleichen Epoche stammen der obere Teil des
Chors und die rechten Seitenkapellen, die
linken aus dem 16. Jh. Die beiden
Fassadentürme sind von Paray-le-Monial
beeinflusst und wurden im 19. Jh. im Zuge
größerer Restaurierungsarbeiten
hinzugefügt, obwohl (oder weil?) die
Arbeiten von Viollet-le-Duc, dem großen
Restaurator mittelalterlicher Bauwerke,
beaufsichtigt wurden.
Auch im 18. Jh., also vor der
Französischen Revolution, hatte die Kirche
schon größere Schäden erlitten; die
Kanoniker des Domkapitels ließen den
Lettner abreißen, ebenso das Tympanon des
Nordportals und das Grab des hl. Lazarus,
das sich hinter dem Hochaltar befand. Das
Tympanon des Hauptportals, heute mit der
Hauptanziehungspunkt aller Besucher,
fanden sie grotesk und ließen es
vergipsen. Bei dieser Operation wurde der
Christuskopf (Christus der Weltenrichter),
der zu weit herausragte, einfach
abgeschlagen. Das hatte insofern sein
Gutes, als das Tympanon die
Revolutionswirren unbeschadet überstand
und 1837 wieder entdeckt und freigelegt
wurde. Der Kopf wurde unter den Schätzen
des Rolin-Museums gefunden und fand 1948
wieder seinen angestammten Platz.
Dieses Tympanon wurde zwischen 1130 und
1135 geschaffen und zählt zu den
Meisterwerken der romanischen Skulptur.
Sein Schöpfer Gislebertus hat seinen Namen
am oberen Rand des Türsturzes, unter den
Füßen Christi verewigt.
Es stellt das Jüngste
Gericht dar und ist trotz seiner
offensichtlichen Komplexität eine
wohlgeordnete Komposition. In der Mitte
thront Christus als Allherrscher in einer
Mandorla, die von vier Engeln gehalten
wird. Dem Erzengel Michael
steht Satan gegenüber, die Hölle nimmt nur
einen geringen Platz ein. Im Himmel finden
wir Apostel, Maria über dem Himmlischen
Jerusalem, und auf dem unteren Band die
Seligen und die Verdammten, unter den
Seligen zwei Pilger, kenntlich an der
Jakobsmuschel der eine und am
Jerusalem-Kreuz der andere.
Pfeiler und Wölbungen des Innenraums
stammen aus dem 12. Jh. Herausragend sind
die Skulpturen der Kapitelle, die Szenen
des Alten und des Neuen Testaments
darstellen. Zu den bekanntesten
Kapitellen, die heute in einem kleinen
Museum auf der rechten Empore zu sehen
sind, gehört das der Anbetung der Drei
Weisen, dann das, auf dem der Engel den
Drei Weisen im Traum erscheint und das
Kapitell mit der Flucht nach Ägypten, auf
dem Joseph und der Esel mit Maria und dem
Jesuskind auf vier Rädern ihres Weges
ziehen.
Dr.
Gerhard Teschner |