St. Gabriel,
Patron der
christlichen
Motivphilatelie

Sammlergilde St. Gabriel e. V.
Arbeitsgemeinschaft "Christliche Motive" im BDPh. e. V.

St. Gabriel, eine starke
Sammlergemeinschaft

Leseprobe aus dem Januar-GABRIEL 2008

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Die Reichenau - ein Juwel christlichen Erbes

Die UNESCO hat bisher 32 Stätten in Deutschland zum Weltkulturerbe erklärt, deren Hälfte mit einem christlichen Bezug. Seit 2000 gehört die Klosterinsel Reichenau dazu. Sie war vom frühen bis zum ausgehenden Mittelalter eines der religiösen und kulturellen Zentren des Abendlandes. Mit der Ausgabe der Briefmarke von der Reichenau durch die Deutsche Post am 2. Januar 2008 (Titelblatt GABRIEL 12/2007) wird die Richen Ow (Augia dives) als unser christliches Erbe gewürdigt. Von der Rheinseite mit Blick nach Nordosten zeigt die Marke oben von links nach rechts Unterzell mit den zwei Türmen der Kirche St. Peter und Paul, dann Mittelzell mit dem Münster St. Maria und Markus und ganz rechts Oberzell mit der Kirche St. Georg.

Mittelzell mit dem Benediktinerkloster und seiner Kirche war der religiöse Mittelpunkt der Insel. Schon von außen kann man verschiedene Bauphasen erkennen, zu denen innen noch zahlreiche Ergänzungen kommen. Klostergründer Pirmin hatte zunächst eine einschiffige Saalkirche errichten lassen, die um 740 nach Osten ausgebaut wurde. Der 9. Abt Heito I. erweiterte den Bau dann nach über 70 Jahren zu einer dreischiffigen kreuzförmigen Basilika, deren Querschiff im Osten (am Turm) erhalten ist. Abt Berno riß nach 1008 den gesamten Westteil der Kirche ab und ersetzte ihn durch ein Querschiff mit Vierung. Wiederum im Westen erhielt die Kirche unter Abt Friedrich (1427-1453) den spätgotischen ungefähr 20 m langen Chor, der mit seiner Höhe den älteren Bauten, die immer aufeinander abgestimmt wurden, nicht angepaßt ist.

Egino, Bischof von Verona, erbaute um 800 als seine Grabstätte in Niederzell eine Kirche und eine Zelle. Nach dem Abriß der in der 2. Hälfte des 10. Jh. erweiterten Kirche ersetzte man sie ab 1100 bis zur Mitte des folgenden Jahrhunderts durch die dreischiffige Säulen-Basilika St. Peter und Paul ohne Querschiff. Jedes Schiff schloß mit einer Chorapsis ab. Über den Apsiden der Seitenschiffe erhoben sich die Türme, so daß eine selten zu sehende Ostfassade mit einem Turmpaar entstand. Später trennte man die seitlichen Chorkapellen innen vom Hauptschiff durch Mauern. Auch die zweigeschossige Vorhalle wurde angefügt. Nach der Mitte des 18. Jh. erfolgte eine Rokoko-Ausstattung im Inneren. Restaurierungen nach 1900 legten Wandmalereien in der Mittelapsis frei. Sie zeigen den Herrscher der Welt in der Mandorla umrahmt von den Symbolen der vier Evangelisten und auf den Seiten Petrus und Paulus, begleitet von je einem Cherubin.

Abt Heito I. erbaute für sich im 1. Viertel des 9. Jh. in Oberzell eine Klosterzelle, von der Reste evtl. in der Hallenkrypta erhalten sind. Über ihr errichtete Abt Heito III. um 900 die flachgedeckte dreischiffige Säulenbasilika St. Georg mit einem Apsischor im Westen und einem quadratischen Chor im Osten. Noch vor der Jahrtausendwende bemalte die Malerschule der Abtei die Wände mit Bildern des Neuen Testaments. Diese Schule, die schon im 9. Jh. außerhalb des Klosters tätig gewesen ist, schuf hier die reichsten Wandmalereien der ottonischen Zeit in ganz Europa. Unter dem Dach der Vorhalle ist auf der Rückwand eine Darstellung des Weltgerichts zu finden. Diese drei Hauptkirchen allein sind gewiß außergewöhnliche Beispiele für die frühe christliche Kunst. Wir sollten sie jedoch wie im folgenden, mit dem Geschehen in der damaligen Zeit und mit den Menschen, die hier gebetet und gearbeitet haben, in Verbindung bringen. Nur so wird der Reichtum des christlichen Erbes auf der Reichenau ganz erkennbar.

Pirmin, ein Klosterbischof der karolingischen Frühzeit, erreichte mit dem Schiff von der Schweizer Seite her kommend die Insel in der flachen östlichen Bucht des Untersees. In ihrer Mitte gründete er 724 nahe dem windgeschützten Ufer die älteste Benediktiner-Abtei jenseits des Rheins. Die sehr lückenhafte Quellenüberlieferung zur Gründung und Herkunft Pirmins läßt viele Fragen offen. Seine monastische Heimat soll im irofränkischen Raum, nicht im westgotisch beherrschten Süden Frankreichs gelegen haben, wo er geboren wurde. Zum weiteren Leben Pirmins gibt es auch viele Fragen. Nach der Gründung belasteten Spannungen zwischen den alemannischen Herzögen und der fränkisch-karolingischen Zentralgewalt das Kloster. Pirmin mußte bereits 727 die Insel verlassen, ebenso 731 sein Nachfolger, der Alemanne Eddo, der später das Bistum Straßburg übernahm. Pirmin ging dann ins Elsaß, wo er das Kloster Murbach 727 als Benediktinerabtei St. Leodegar reformiert hat. Zu den alemannischen Klöstern im Oberrhein-Gebiet, die auch mit Firmins Namen in Verbindung gebracht werden, gehören Schwarzach, Gengenbach im Kinzigtal und Schuttern, auch noch Mauersmünster (Marmoutier) und Neuweiler (Neuwiller-les-Saverne) in Frankreich. Sicher ist wohl, daß Pirmin als letztes Kloster Hornbach in der Pfalz nach 742 gegründet hat (WSt 1992), wo er 753 starb und bestattet wurde. Es gibt im 8. Jh. mehrere Bespiele von Äbten und Mönchen, die wie Pirmin als Klosterbischöfe bezeichnet werden, weil ihr Aufgabenbereich auch außerhalb des Klosters lag, wo sie ausgestattet mit gewissen bischöflichen Rechten missioniert haben. Erinnert sei an Bonifatius, der in dieser missionsreichen Zeit auch als Mönch von England kam, Apostel Deutschlands wurde und ein Jahr nach Pirmin starb, den man als Apostel der Alemannen bezeichnet. Auf dem Damm zur Insel zeigt ihn ein Denkmal als Abt (SSt 1988 zum Bodenseetreffen der Gilde). Oft jedoch wird er wie im Wappen der Stadt Hornbach als Bischof dargestellt.

Spätestens seit der Niederwerfung der Alemannen 747 war die Reichenau ein karolingisches Reichskloster. Entgegen der Absicht Firmins die Klöster unabhängig zu machen, wurden sie jetzt in die Organisation der Bistümer eingegliedert. Drei Bischöfe von Konstanz wurden Äbte der Reichenau. Unter Arnefrid (736-746) gründete die Reichenau Pfäfers in der Schweiz, im Süden des Bodensees, und die heute noch bestehende Benediktiner-Abtei Niederaltaich in Niederbayern. Sie ist eine Stiftung des Herzogs Odilo 741 mit Zustimmung Pippins und mit Hilfe des Bischofs von Straßburg Eddo (Heddo), dem Nachfolger Pirmins als 2. Abt der Reichenau. Durch Eddos Vermittlung kamen die ersten Mönche unter ihrem ersten Abt Eberswind von der Reichenau nach Niederaltaich. 17 Jahre nach der Gründung sah Pirmins Kloster seiner ersten Blütezeit bis zur Mitte des 9. Jh. entgegen.

Karl d. Gr. stattete das Kloster 780 mit besonderen Privilegien aus und mit Besitztümern, u.a. um Ulm. Seine Frau Hildegard, mütterlicherseits von alemannischen Herzögen abstammend, und ihr Bruder Gerold waren eng mit dem Kloster verbunden. Die Namen der Äbte stehen für die Kultur der Reichenau. Abt Waldo (786- 806) erzog Pippin, Sohn Karls d. Gr., der Waldo später als Abt nach St.-Denis berief. Abt Heito (Hatto) I. (806-823), Ratgeber des Kaisers, erbaute die Basilika und erreichte 811 in Byzanz die Anerkennung des Karolinger-Reiches durch die oströmische Kirche. Er sorgte für den Ausbau der Bibliothek und dürfte selbst maßgeblich an der Anfertigung des Klosterplans für St. Gallen, der hier entworfen wurde, beteiligt gewesen sein. Unter ihm entstand hier auch die genaueste Fassung der Benediktregel. Damals pflegte die Abtei einen Austausch von Mönchen mit der Schule Alkuins in der Abtei St.-Martin in Tours. Abt Walahfrid (842. 849) wird als wohl bedeutendster Abt genannt. Nach dem Studium in der Abtei Fulda bei Hrabanus Maurus wurde er Erzieher des Sohnes von Kaiser Ludwig d. Frommen. Der Kaiser übertrug ihm danach die Reichenau. Er war der Dichterabt, Pädagoge und Theologe. Am bekanntesten von seinen Werken ist ein Bändchen über den Klostergarten in Mittelzell, heute noch Ausgangspunkt der so ertragreichen Gemüseproduktion der Insel. Mit Abt Hatto III. (888-913) endet die erste Blütezeit der Abtei. Er war politisch außerordentlich einflußreich und wirkte zugleich als Erzbischof von Mainz, Abt von Ellwangen und Weißenburg im Elsaß, zudem als Kanzler Kaiser Arnulfs und nach dessen Tod 899 als Vormund des Thronfolgers. Von Rom brachte er die Reliquie des Hauptes vom hl. Georg mit, für die er in Oberzell die Basilika erbauen ließ.

Von großen Rückschlägen im 10. Jh., bedingt u.a. durch Einfälle der Ungarn, blieb die Abtei weitgehend verschont. Ihre zweite Blütezeit begann unter Abt Witigowo (985-99), der das Kloster ausbaute und das Langhaus des Münsters verlängerte. Die Malerschule der Reichenau erreichte in dieser Zeit ihre künstlerische Blüte. Sie führte für viele andere Klöster und Herrscher Aufträge aus, z.B. für Heinrich II. ein Perikopenbuch (Abschnitte aus den Evangelien für die Lesungen an Sonn- und Festtagen). Die beiden Weihnachtsmarken von 1996 der Deutschen Post zeigen davon zwei Beispiele. Zu den besten Werken gehören auch mehrere Evangeliare für Otto III. (WSt 2001), der Gerocodex und der Codex Egberti. Zwei Beispiele sind auf der neuen Marke vom 2. Januar dargestellt.

Unter dem Nachfolger Alawich II. wurde die Reichenau dem Papst unterstellt. Kaiser Heinrich II., um eine Reform der Reichsklöster bemüht, setzte in diesem Zusammenhang 1006 Immo als Abt ein, zuvor Abt von Gorze in Lothringen. Dabei überging er das Wahlrecht des Konvents. So folgte ihm schon nach zwei Jahren Bemo als Abt bis 1048. Als Mönch des Klosters Prüm war er im Kloster Fleury in St.-Benoît-sur-Loire ausgebildet, seit der 2. Hälfte des 10. Jh. das Reform-Zentrum in Frankreich. Auch hier zeigt sich, wie eng die Klöster des Abendlandes miteinander verbunden waren. Andererseits hatte Bemo auch ein gutes Verhältnis zum Kaiser. Heinrich II. kam persönlich zur Einweihung des Münsters 1048, dessen Westbau Bemo neu errichtet hatte. Sein Hauptwerk galt jedoch der Durchführung des Gottesdienstes. Mit ihm und dem Mönch Hermann dem Lahmen wirkten auf der Reichenau die besten Musiker ihrer Zeit. Vor allem setzte Hermann mit seiner Weltchronik und mathematisch-astronomischen Schriften noch einmal die wissenschaftliche Tradition der Reichenau fort. Es darf nicht vergessen werden, daß die Mönche allein um Mittelzell auch noch 14 Kirchen zur Betreuung der Insel-Bewohner erbaut haben, als erste St. Pirmin 986. Von diesen und weiteren Kirchen sind die meisten jedoch später vollständig abgetragen worden. Nach Abt Bemo und Hermann konnte das Kloster seit der Mitte des 11. Jh. zwar seine weltliche Stellung noch über ein Jahrhundert behaupten, aber nie mehr das wissenschaftliche und kulturelle Niveau seiner Glanzzeit erreichen. Die Reichenau war als adeliges Kloster groß geworden. Das Beharren darauf führte mit Veränderungen der Zeit, dem Entstehen neuer Orden und dem Beginn des Investiturstreits zu seinem Rückgang. Seit 1540 bis zum Ende des 18. Jh. war es dann nur noch ein vom Bistum Konstanz abhängiges Priorat.

Walter Stephan

Stand: 25.01.2008        © by Sammlergilde St. Gabriel e. V.