Paul
Gerhardt, der Liederdichter
„Wir
singen die Strophen eins bis drei!“ So
geht es meistens, wenn im Gottesdienst
Lieder von Paul Gerhardt angestimmt werden
sollen. Der Dichter ist nicht nur mit den
meisten Liedern im Evangelischen
Gesangbuch vertreten, sondern auch mit den
längsten. Unter sieben Strophen ist kein
Paul-Gerhardt-Lied zu haben. Darum werden
meist nur die ersten, eventuell die
letzte, selten eine mitten aus dem Lied,
gesungen. Unser Gesangbuch hat schon
einige Lieder gekürzt, weil ohnehin nicht
alle Strophen gesungen werden. Im Original
hat kein Lied weniger als zehn Strophen.
26 Lieder stehen im Gesangbuch von den
139, die er gedichtet hat. Alle Lieder
zusammen haben hier 299 Strophen, das sind
11 ½ pro Lied. Auch im katholischen
Gotteslob sind fünf Lieder von ihm zu
finden.
Paul Gerhardt gilt nach Martin Luther als
der bedeutendste und bekannteste
evangelische Kirchenlieddichter. Am 12.
März 1607 wurde er in Gräfenhainichen in
Kursachsen (heute Sachsen-Anhalt, etwa 25
km südlich von Wittenberg) geboren. Zu
seinem 400. Geburtstag erscheint eine
Gedenkmarke. Sie zeigt ihn am Schreibtisch
sitzend, vermutlich dichtet er gerade ein
neues Kirchenlied. Ein solches ist um das
Bild herum zu lesen mit Text und Melodie:
„Lobet den Herren alle, die ihn ehren
...“ Auch die beiden Ersttagsstempel
zeigen dieses Motiv. Bereits zweimal wurde
er von der Deutschen Bundespost mit
Gedenkmarken geehrt: 1957 zu seinem 350.
Geburtstag (Mi 253) und 1976 zu seinem
300. Todestag (Mi 893).
Paul
Gerhardt stammte aus einer
bürgerlich-bäuerlichen Familie, die
Ansehen genoss, aber mit vierzehn Jahren
war er schon Vollwaise. 1622 bis 1627 war
er Zögling der Fürstenschule Grimma. Die
von lutherischer Tradition geprägte
Erziehung stellte ihn in einen
geistlich-liturgisch geordneten Tageslauf
und vermittelte ihm eine theologische
Grundbildung. Das war für ihn keine
leichte Zeit, denn der Dreißigjährige
Krieg bestimmte auch hier das Leben mit
Hunger und Pest. Von 1628 bis 1642
studierte er an der Universität Wittenberg
Theologie. In dieser Zeit wurde auch
Wittenberg vom Krieg heimgesucht und durch
die Pest entvölkert. Seine theologischen
Lehrer waren strenge Lutheraner, was sein
späteres Leben durchaus beeinflusste.
Nach seinem Examen 1642 ging er nach
Berlin. Als Hauslehrer fand er Zugang in
die höheren bürgerlichen Schichten der
Stadt, auch in das Haus seines späteren
Schwiegervaters, des
Kammergerichtsadvokaten Berthold. Bekannt
wurde er durch Lieder und Gedichte, die er
bei Gelegenheit von Hochzeiten und anderen
Familienfeierlichkeiten zu Gehör brachte.
In dieser Zeit entstanden auch etliche
Lieder, die noch heute oft gesungen
werden. Das brachte ihn auch in eine
freundschaftliche Beziehung zu Johann
Crüger, der viele seiner Lieder
komponierte und 1648 sein Gesangbuch
„Praxis pietatis melica“ (Übung der
Gottseligkeit in Gesängen) mit achtzehn
Liedern von Paul Gerhardt herausgab. In
der Ausgabe von 1661 finden sich hierin
bereits 95 dieser Lieder. Sehr großen
Einfluss auf sein Liedschaffen hatten die
Erinnerungen an die Schrecklichkeiten des
Krieges und auch viel anderes Leid, das er
erfahren hat: Der frühe Tod seiner Eltern,
seiner Frau und vier von seinen fünf
Kindern. In vielen Liedern wird sein
Gottvertrauen deutlich, und er bittet Gott
um Trost und Beistand („Ich bin ein Gast
auf Erden“, „Wach’ auf, mein Herz, und
singe“ u.v.a.). Aber die Verbundenheit zur
Natur, zu Gottes Schöpfung, wird in seiner
Dichtkunst auch deutlich („Geh’ aus, mein
Herz und suche Freud’ “, „Die güldne Sonne
voll Freud’ und Wonne“ u.v.a.)
Wegen seiner Lieder war Paul Gerhardt sehr
bekannt. Trotzdem wurde er erst 1651 im
Alter von 44 Jahren in ein kirchliches Amt
berufen als Propst nach Mittenwalde im
Kreis Teltow (südöstlich von Berlin). Es
ist vielfach versucht worden, eine
Erklärung für die lange Studienzeit und
späte Amtsübernahme zu geben.
Wahrscheinlich haben die
Kriegsverhältnisse mitgespielt.
1655 heiratete er Anna Maria Berthold, bei
deren Eltern er jahrelang in Berlin
gewohnt hatte. 1657 wurde er als Diakonus
an die Berliner Nikolai-Kirche berufen
(DDR Mi 3026, GA 2003 / 2, S. 36-37). Fast
zehn Jahre konnte er dieses Amt versehen
und sich die Liebe seiner Gemeinde
erwerben. Aber dann gab es Probleme mit
der Kirchenpolitik seines Landesherrn. Die
Auseinandersetzung mit Friedrich Wilhelm,
dem Großen Kurfürsten (1640-1688) hatte
konfessionelle Gründe: Dem seit 1613
reformierten Herrscherhaus stand eine
lutherische Bevölkerung gegenüber, was zu
scharfen Auseinandersetzungen der
Bekenntnisse führte. Um den
unerquicklichen Streitereien auf den
Kanzeln ein Ende zu setzen, erließ der
Kurfürst ein Toleranzedikt, das der
Verträglichkeit der Konfessionen dienen
sollte. So sollten sich alle Pfarrer
verpflichten, die jeweils andere
Konfession weder schriftlich noch mündlich
zu diffamieren. Zu dieser Zeit waren
Toleranz und Glaubenstreue noch ein
Gegensatzpaar, und deshalb verweigerte
Gerhardt die von ihm geforderte
Unterschrift, obwohl er nie die
Reformierten angegriffen hatte. So wurde
er 1667 seines Amtes in der Nikolaikirche
enthoben. Da sich viele seiner
Gemeindeglieder für ihn einsetzten, wurde
er zurück berufen, was er aber ablehnte.
1668 folgte er der Berufung in das
Archidiakonat im damals noch
kursächsischen Lübben im Spreewald, wo es
keine Reformierten gab. Hier wirkte er bis
zu seinem Tod am 27. Mai 1676. An ihn
erinnert hier sein Denkmal vor der nach
ihm benannten Kirche.
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